Dienstag, 11.10.2011. Die deutsche Fußballnationalmannschaft hat heute auch das zehnte und letzte Qualifikationsspiel für die Fußball-EM im nächsten Jahr gewonnen und wird ab dem 08.06.2012 in Polen und der Ukraine um den Europameistertitel spielen.
Knapp sechs Stunden vor dem Anpfiff wurde in eben dieser Ukraine die ehemalige Ministerpräsidentin und jetzige Oppositionsführerin Julia Timoschenko wegen angeblicher Selbstbereicherung an Regierungsgeschäften während ihrer Amtszeit zu sieben Jahren Haft verurteilt. – Ein Schauprozess, vergleichbar dem gegen Alexander Chodorkowsky in Russland, der einzig dazu dient, jede Form von Opposition gegen die herrschende Regierungsklasse durch Einschüchterung im Keim zu ersticken.
Die Ukraine: Ein ehemaliger UdSSR-Satellitenstaat, der wie das große Brüderchen nebenan politisch immer noch auf den Spuren Stalins wandelt, obwohl man sich nach außen hin gern mit demokratisch-parlamentaristischen Federn schmückt.
Da passt die Faust mehr als nur aufs Auge, dass die Fußball-WM 2018 in Russland ausgetragen wird. Der internationale Fußball als Plattform für verhuschte Diktaturen. Das ist mal neu. Danke, FIFA, danke, Sepp Blatter.
Dass die Nationalmannschaft von – sagen wir – Nordkorea am internationalen Wettbewerb teilnimmt, bezeichnet ein Entgegenkommen von beiden Seiten: Der eine lässt spielen; und der andere spielt mit. Nordkorea als „Fußballnation“ beugt sich – Politik zuhause hin oder her – den Regeln der Welt.
Wenn jedoch ein diktatorisches Regime mit der Auszeichnung geadelt wird, diese Spiele ausrichten zu dürfen, spielen alle Spieler immer auch für eben dieses Regime. Es gibt Leute, die behaupten, die Ausrichtung eines internationalen Spektakels wie der Fußball-EM in einem demagogisch regierten Land könne dazu dienlich sein, dieses dem Westen und seinem Verständnis von Demokratie gegenüber ein Stück weit zu öffnen. Denkfehler dabei: Das Land – als Mehrheit der Bevölkerung – steht uns zumindest in der Ukraine hochgradig offen gegenüber. Wer hier blockt, ist die Machtelite. Und die interessiert nur der Erhalt der eigenen totalen Macht. Mittel egal. Und wo und wann soll eine solche Machtelite schon mal mit den Mitteln des Sports „bekehrt“ worden sein? Bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin? Oder denen 2008 in China? Stattdessen wird auch in der Ukraine einem Regime eine Bühne zur Selbstdarstellung geboten, dem man vernünftigerweise jede Möglichkeit der Profilierung versagen sollte. Von den Milliarden Euro, die nebenbei in die Staatskasse fließen, ganz zu schweigen. Genauso ist es dummes Geschwätz zu behaupten, ein Medienereignis wie die EM richte die Blicke der ganzen Welt auf das Land und trage dazu bei, die dortigen Missstände ans Licht der internationalen Öffentlichkeit zu zerren. Als ob die mich interessieren, wenn ich mit Chips und Bier vor der Glotze sitze und Schweinsteiger und Co. gewinnen sehen will. Und wenn doch mal kritisch hinter die Kulissen geschaut wird. – Nach drei Wochen ist eh alles wieder vorbei. Dann sind die Reporter mit ihren Kameras und Laptops wieder weg. Wenn der Spielvergabe der FIFA eine solche Denke zugrunde läge, hätte man die WM 1990 in Ruanda austragen lassen müssen.
Die EM in der Ukraine wird stattfinden, so viel ist sicher. Selbst wenn dort in der Zwischenzeit ein Bürgerkrieg wie der in Libyen gegen Gaddafi ausbricht. Dafür hängt zu viel Kohle an der ganzen Sache. Aber schöner, besser, freier, gerechter – das alles wird das Land nur durch eine starke Opposition. Und zu dieser tragen der europäische Fußball und die verantwortlichen Entscheidungsträger nicht nur bei der FIFA sicher nicht bei, wenn sie die Tyrannen hofieren und ihre militärische Aufrüstung finanzieren.
Kann man in den nächsten sieben Jahren nochmal drüber nachdenken. Dann geht´s nach Moskau. Dort heißt der Präsident dann wieder Putin. Demokratisch wiedergewählt. Ist schon ausgemacht.
Robert Martschinke