Aus gegebenem Anlaß: Das Feuer und das Wort. Offener Brief an Berthold Brecht.

Lieber Berthold Brecht,

dieses eine Mal in Santiago, erinnerst du dich? Während sie, die immer Gleichen, ihre Arbeit als Brandstifter gegen das Papier und die Buchstaben verrichteten… während sie mit ihren Gewehren die Bücher in den Scheiterhaufen im Hof meines Hauses stapelten… dieses eine Mal in Santiago 1973, ich, geduckte Gestalt voller Angst, dachte an dich.

Die Buchrücken verbrannten geschwind in jenem düsteren Frühling; die Blätter knisterten, die Gesichter auf den Fotos verzerrten sich; der Rauch war unerträglich blau und schwarz…
Sie und wir, wir und sie schrieen in verschiedenen Tonlagen, schrieen… und die Feuer brannten, im Hof durch ihre Stiefel noch verstärkt, durch ihre Waffen, unsere Bücher, unsere Dokumente und Liebesbriefe… Sogar die Marx Brothers verbrannten.

Die Soldaten brüllten Schimpfworte und Verfluchungen. Wir mit unserer endlosen Angst, in die Brandherde zu fallen und in das Labyrinth verborgener Kerker der Folter, des Verschwindens, des Wahnsinns.

Ich konnte nicht von ihnen fordern, dass sie meine Bücher verbrannten, wie du es getan hattest, Berthold, weil ich noch keines geschrieben hatte. Ich war kaum eine Studentin im Fach Journalismus, die gerade begonnen hatte, vor dem Entsetzen, das sie erlebte, ihren Verstand im Schreiben zu schärfen.

Unter dem Bett von Alcibiades, aus meiner Wohngemeinschaft, fanden sie die riesigen Bände von „Das Kapital“, danach wusste ich nichts mehr von ihm. Die letzte Spur seines Lebens waren seine Bücher gewesen, die im Hof meines Hauses in der Septemberhölle verbrannt wurden.

Monate später, als Überlebende des Brandes unserer Existenz, traf ich Alcibiades mit seinem ewigen großen Lächeln unter dem Schnurrbart – auf irgendeiner Straße von Buenos Aires, wo ich – in einem Lastwagen versteckt – landete. Ich hatte geglaubt, er wäre schon tot, wie so viele andere Bekannte, die umgekommen oder verschwunden waren.

Zu jener Zeit war Argentinien noch ein freies Land, bis drei Jahre danach die Bücher und die Freigeister mit der gleichen Brutalität wie in Chile und wie in deinem Deutschland damals, Berthold, verbrennen sollten. Und der Diktator Videla äußerte im Fernsehen in Bezug auf die Vermissten: „Es bleibt ein Rätsel. Er ist ein ‚desaparecido’, hat keine Identität, ist einfach nicht da, weder als Lebender noch als Toter, er ist ‚verschwunden’.“

Ich schreibe dir diesen Brief aus Kalifornien im Jahre 2008, während Bush und seine Komplizen die Worte und den Geist von Irak verbrennen, dieses Feuer, das nie zu Ende geht in der Geschichte der Schande.

Eine unsägliche Angst vor den Worten haben sie, diese Mörder aller Freuden!
Alter Berthold, danke, dass du uns daran erinnerst. Auf Wiedersehen, bis wir uns im Paradies der Worte wiedertreffen werden.

Isabel Lipthay
Aus dem Spanischen übersetzt von
Dr. Pilar Baumeister

Isabel Lipthay ist eine chilenische Autorin und Sängerin. Sie floh vor der politischen Verfolgung durch die Pinochet-Diktatur und lebt in Münster.
www.contraviento.de

aus der Luftruinen-Ausgabe 4, Frühling 2009