Ich stelle mir gelegentlich vor, wie es wohl sein wird, wenn ich später mal Kinder habe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich dann abends auf ihrer Bettkante sitze und ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte erzähle, wie z.B. diese:
Kinder, hört mal zu: Wieso mussten mich meine Freunde in diesen Club mitschleppen?! – Ich habe eigentlich gar keine Lust auf Party – bin aber trotzdem mitgekommen. Wir bezahlen und gehen ’rein – und dann sehe ich das Schild: „Heute: Single-Party“. Ach du Scheiße! Ich hatte mir eigentlich geschworen, niemals auf so eine Veranstaltung zu gehen, doch jetzt habe ich schon den Eintritt bezahlt und um wieder zu gehen, bin ich zu sehr Schwabe. Ich bekomme beim Eingang einen herzförmigen Aufkleber, auf den ich „Hans“ schreibe – das schreckt ab.
Zufrieden gehe ich zur Bar und bestelle ein Bier. Da kommt mir eine Idee, wie ich den Abend doch noch lustig gestalten kann: Ich nehme mir vor, von jedem hier anwesenden Mädel einen Korb zu bekommen. Als mir die Blonde hinter der Theke das Bier bringt, sage ich: „Du musst hier nicht arbeiten. Ich bin Modell-Scout und bringe Dich ganz groß raus!“ Sie schüttelt verständnislos den Kopf: Nummer 1 geschafft.
Zielstrebig steuere ich eine junge Frau an, die in einer Ecke telefoniert. Ich nehme ihr das Handy aus der Hand, lege auf und sage: „Unterhalte Dich lieber mit mir, das ist erstens interessanter und zweitens habe ich einen besseren – Vibrationsalarm.“ Dabei lege ich ihr meine Hand auf den Kopf und mache „wwwwwwwwww“. Das überzeugt sie nicht.
Nächstes Ziel: Eine vielleicht 15jährige, sehr aufgetakelte Rothaarige, die vor der Toilette wartet. Sie heißt „Sweet Lissy, Herzchen, Smiley“ – steht jedenfalls auf ihrem Aufkleber. Ich stelle mich neben sie und tu so, als würde ich irgendetwas in ihrem Gesicht sehen, was da nicht hingehört. Dazu schaue ich ein bisschen angewidert und frage dann: „Na, Kleine – war diese Woche wieder Schminke in der Wendy? Darf ich Dir mit dem Fingernagel meine Handynummer in die Backe ritzen?“ In diesem Moment kommt ihre Freundin von der Toilette, „Sweet Lissy, Herzchen, Smiley“ geht durch die noch geöffnete Tür – war auch bitter nötig, die hatte das Pipi ja schon in den Augen. Die Freundin heißt „Kitty“. Ich sage – wie wahrscheinlich jeder andere Vollidiot an diesem Abend auch – „Hello Kitty! Lass mich raten: Du magst Katzen?“ – „Mhm“ sagt sie und bekommt leuchtende Augen. Ich sage: „Chhhhchchchchhch!“ – sie schreckt sofort auf und rennt los – direkt gegen die Tür. Nachdem sie zu Boden gegangen ist, beuge ich mich zu ihr herunter und flüstere: „Naja, hast ja noch 6 Leben.“
Danach gehe nach draußen und frage das einzige Mädel dort nach einer Kippe und schiebe hinterher, ob sie vielleicht eine zweite für meinen Freund hätte, der gleich ’raus kommt. Sie gibt mir zwei Zigaretten, ich stecke sie in meine noch halb volle Schachtel und gehe wieder ’rein. Auf dem Weg nach drinnen sage ich schnell noch zu einer: „Oh, cool! Ich wusste gar nicht, dass heute auch noch ‚Bad Taste Party‘ ist.“
Und da sehe ich sie: Sie würde zwar keine Misswahl gewinnen, aber ich gehe trotzdem zu ihr, schaue ihr tief in die Augen und sage: „Hallo Schönheit – bist Du zufällig Kartographin? – Ich habe mich nämlich gerade in Deinen Augen verloren.“ Sie lächelt mich an und sagt, das sei das Süßeste, was jemals ein Mann zu ihr gesagt habe. – Arme Sau! Ich will trotzdem mein Ziel des Abends verfolgen und sage: „Gehen wir zu Dir und haben ein bisschen Spaß – bei mir in der Wohnung ist eine Ungezieferplage, von der ich immer juckenden Ausschlag bekomme.“ – „Ok.“ – „Shit!“ – Ich sage, ich müsse noch kurz auf die Toilette, und spritze mir dort absichtlich etwas Wasser auf die Hose, komme wieder ’raus und mache sie auf mein Missgeschick aufmerksam, indem ich ihr von Inkontinenz und zeitweise auftretender Impotenz erzähle. Sie lächelt mich an und sagt etwas von „niedlich“ und „Mutterkomplex“ und zerrt mich zum Ausgang.
Auch an der Tatsache, dass ich eine Freundin habe, hat sie nichts auszusetzen und wir sitzen in einem Taxi auf dem Weg zu ihr. Mit der Kraft der Verzweiflung schau’ ich sie an – zum ersten Mal im Licht – und erbreche ins Taxi. Aber auch das scheint sie nicht zu stören – im Gegensatz zum Taxifahrer. Ich gebe ihm zwei Zigaretten und wir steigen aus.
Jetzt ist das Unvermeidliche nicht mehr abzuwenden und ich überlege mir auf der Treppe zu ihrer Wohnung, was ich wohl sagen würde, wenn meine Freundin zufällig ins Zimmer platzen würde, während ich ihr fremdgehe. Mir fallen spontan vier Alternativen ein:
1. „Ähm, ich bin da irgendwie so ’reingerutscht…
2. „Ich tu hier was Gutes: Sie saß draußen in der Kälte und brauchte etwas Warmes im Magen.“
3. „Ich hab’ extra ’ne Hässliche genommen, dass Du Dich besser fühlst.“
4. „Ich liebe Dich.“
Nun stehen wir also bei ihr im Wohnzimmer und sie haucht mir ins Ohr: „Na, Du Eroberer – jetzt zeig’ der Kartographin doch mal, wie richtige Feldherren einmarschieren…“
In diesem Moment wusste ich, wie Kolumbus sich gefühlt haben muss, als er herausfand, dass er irgendwo angekommen ist, wo er eigentlich gar nicht hinwollte.
Ja, und dann sitz‘ ich immer noch bei meinen Kindern an der Bettkante und sage: „Jetzt schlaft gut, liebe Kinder, denn genau das ist die Geschichte, wie ich Eure Mutter kennen gelernt habe.“
Hanz