Zu gut für diese Welt, von: Robert Martschinke

Schon seit meiner frühesten Kindheit leide ich darunter, besser zu sein als andere. Viel besser, um genau zu sein. Auf jeden Fall zu gut.

Das ging schon im Kindergarten los. Kinder können grausam sein. Und wenn sie merken, daß einer viel schlauer und geschickter und lern- und anpassungsfähiger ist als sie, dann machen sie ihn fertig. Da sind sie schon ganz die Erwachsenen, die sie mal werden sollen.
Später, in der Schule, wurde es dann richtig schlimm. Nicht nur, daß ich immer Klassenbester in sämtlichen Fächern war, was mich per se zum Klassenarsch gemacht hat; auch die Lehrer merkten natürlich umgehend, daß ich mehr auf dem Kasten hatte als sie alle zusammen. Worauf sie mich absichtlich schlecht benoteten. Was meine Mitschüler natürlich diebisch gefreut und mich letzten Endes das Abitur gekostet hat.
In der Berufsausbildung das gleiche: Der Meister, neidisch auf meine Fähigkeiten und mein Wissen, ließ mich letzteres bereits in der Probezeit, nämlich daß ich für eine Berufsausbildung nicht geeignet sei. (Letztendlich, denke ich, war ihm klar, daß er mir eh nichts mehr hätte beibringen können.)
Mit den Frauen klappt’s auch nicht so. Die stehen halt auf Typen, die sie rumkommandieren können, wie sie wollen. Aber Unrecht ertrage ich nun einmal nicht. Wenn jemand Unrecht hat, dann muß ich was sagen. Ich passe nun mal in keine Handtasche oder Schublade. Und die Wahrheit kann eben manchmal wehtun.
Die Wahrheit will doch eh keiner hören.
Wir glauben doch alle, in einem freien Land zu leben.
Oder?
In der Politik geht’s um die Menschen, nicht um die Kohle. Und bei Kriegen, an denen die Nato beteiligt ist, geht’s um Befreiung, nicht um letzte Erdölvorkommen und deren Abzug in die beteiligten Länder. Und wenn wir statt im Kapitalismus in einem auf den Menschen und seine individuellen Bedürfnisse fixierten Sozialismus leben würden, ginge es uns allen besser.
Oder?
Wahrheit?
Die Schlagzeile in der BILD-Zeitung wollen sie. Damit sie wissen, was sie denken sollen. Und gleich darunter ’ne frische Portion Teenie-Titten.
Die hol’ ich mir dann lieber in echt. Erfordert natürlich ein gewisses Maß an Geschicklichkeit. Planung. Übung, wenn man so will. Aber Zeit genug hab’ ich ja. Wie Sand am Meer. Manchmal denk’ ich, ich hab’ so viel Zeit, wie es Menschen gibt auf dieser Welt.
Wenn ich ein Maschinengewehr hätte, daß man nie nachladen muß, und sich die ganze Menschheit in einer Reihe aufstellt, kann ich sie alle innerhalb von fünf Jahren erschießen. Stimmt. Hab’ ich ausgerechnet. Aber das will ich ja gar nicht. Das Mädchen neulich hat mir ja fast leid getan.
Wenn die bloß nicht so viel reden würden. Die reden doch, das weiß ich. Es gibt einfach keine Alternative.
Reden ist einfacher als Denken.
So viel einfacher.
Reden tut nicht weh.
Ich sollte Schluß machen.
Ich hasse Worte. Wörter. Worte. Nutten. Wörter sind Nutten. Jeder kann sie ficken. Besoffene Politiker, geschmierte Betriebsräte, zugekokste TV-Moderatoren, gegen die man nichts sagen darf, weil’s ein Jude ist. Alle sind sie schon drübergestiegen. Hinterher tut’s ihnen dann leid, bla, und weiter im Geschäft. Und wenn sie alle drübergestiegen sind, auf Kosten des Steuerzahlers, bleibt nur noch ein Häufchen wertloser Dreck. Ab zurück nach Polen, Russland. Nix Berlin. Paris. New York.
Asche.
Die Sterne sind schön.
Um die Sterne zu sehen, muss man mit wachen Augen durch die Nacht gehen.
Diese ganzen Öko-Heinis. Dieses: zurück zur Natur. Zum wahren, reinen Leben.
Ich sag’ euch mal was: Das Leben, das ist nicht natürlich. Natürlich, das ist das kalte, schweigende, zeitlose Kreisen der Sterne. Der Tanz der toten Materie.
Das Leben hat die Materie infiziert wie ein Parasit, der sie zu immer abstruseren Formen treibt, die doch nur alle nach kosmischen Millisekunden wieder vergehen, sich zersetzen, um aufs Neue vom Virus vitae in Besitz genommen zu werden. Ein einziges Leben und Verwesen ist das, ein kosmischer Krebs ist das Leben, ein spastisch zuckender Tumor, ein blutspuckendes Terratokarzinom, ein hirnloser Muskel, der unkontrolliert wuchert, und wenn sie eines Tages diesen Planeten verlässt, diese Pestilenz…
Aber das könnt’ ihr ja dann alles in meinem Buch nachlesen. Ja, ihr habt recht gehört. Liegt hier vor mir.
Ich bin so gut wie fertig.
Was ich sagen will.
Das kam. Einfach so. Kam mit. So oder so. Wollte noch mehr. Zog sich schon im Flur den Rock aus. Hing an den Schuhen fest. Stolperte.
Trank noch mehr. Rauchte noch mehr. Sagte: Fick mich. Immer wieder: Fick mich. Fick mich.
X sagte: Nein.
X will nicht.
Es lachte. Steckte den Finger rein. Leckte ihn ab. Lachte. Hey, Süßer, was ist los, he? Bist doch wohl kein Schwuli, oder? Kein Lollilutscher, oder? Na komm’ schon. Hier. Und hier.
Siehste? Macht dich das an?
Lachte.
Fotze.
Dann schrie es. Stundenlang. X ließ sich gehen. Die ganze Wohnung voller. Alles voll von. X hat sich gehen lassen.
Als X ihm die Säge gezeigt hat, hat es geweint. Dann gelacht. Geweint. Gelacht. Gelacht. Geweint. X hat gesägt. Dachte noch: so wenig Blut. Ist ihm in die Augen reingelaufen. Da hat es dann wieder geschrien. Und gelacht. Wie bescheuert gelacht. Als X es aufgemacht hat. Und dann hat es nur noch ganz komisch gegrunzt und geröchelt und am ganzen Körper gezuckt und gezittert. Als ob ihm einer abgeht. So wie alle Nutten, wenn. Als X es rausnahm. Ganz langsam und vorsichtig. Es fühlte sich so gut an. So weich und warm.
Es roch nach Zimt.
Ein Auge war noch dran.

Die Zeit ist wie ein gesprungenes Glas; man kann noch hindurchsehen, aber was man am deutlichsten wahrnimmt, sind die Bruchstellen; dort, wo die Schläge und Tritte am heftigsten waren.
Sehr geehrte Frau Peters, Untersekunda, zweites Halbjahr, Mathematik, Vorklausur, Aufgabe sieben: Das Ergebnis war vielleicht falsch. Aber der Rechenweg stimmte.

Robert Martschinke