Liebe Luxus Kapitalismus. fast food poetry, von: Ralf Burnicki

„Der Mensch ist vor sich selbst
ein absichtlicher Irrtum“
(Clement Pansaers, Dada)

LIEBE: kleine Ortschaft der Nerven, dort, wo sich abends hinter Baustellen und Rastplätzen die Gedanken treffen im Gebüsch, die Ideen sich auf den Rücken drehen, die Namen sich entmummen, bis Grund kommt, jedes Wort ein von langsamen Berührungen durchkämmtes Gebiet, oder Risikozone, Neuland, aber Schluss jetzt, Spot an: Die Beziehungsagenturen fahren auf und feuern mit allen Kanonen der Werbung professionelle Glückssalven aus der Drehorgel des Wirtschaftswunders auf die Beziehungsprovinzen ab. In Zeitschriften, Revolverblättern wachsen Kontaktanzeigen wie Zwischenlager der Marktwirtschaft, und zwischen Angebot und Nachfrage wechseln die Romanzen mit erhobenen Händen und weißen Fahnen ins Lager des Tauschwerts. Die Kontaktbüros arbeiten perfekt der Zukunft entgegen & offerieren Modelle mit Rückgaberecht, und die Ehevermittlungen, – woher nur diese Ähnlichkeit mit dem Arbeitsamt -, synthetisieren Kopfformen und Schulterlängen zu Breitwandsymbolen mit namentlichem Aufruf, & wie aus einem Prospekt geschnitten tritt DAS URBANE STANDARDPAAR VON HEUTE über die Schwelle der Monitore ins Zeitalter der Fröhlichkeit, omnipotent, startfähig bis zum Untergang, ja, das Standesamt ruft den Frohsinn aus und sammelt Unterschriften für den Wohlstandsstaat, bis eine neue NUTELLA-Glücksfamilie bewaffnet mit einem Möbelprospekt von der Kruste eines mit Steuererleichterungen bestrichenen Butterbrots aufspringt und als Senkrechtstarter ins internationale Rennen geht. Die Nistplätze, Kücheneinrichtungen, Wohnzimmer verzeichnen den Aufschwung zum Familienbesitz, abgemessen, gehalftert und schussbereit, die Nachbarschaft zu übertrumpfen. Und neben den Buchregalen wird Liebe in Fernsehapparate verwandelt, oder in Handtaschen, Wandteppiche, und diese werden zurückverwandelt in Christbaumschmuck zur arbeitsteiligen Gemütsgrafik, in die man Gemütlichkeit hineinbefiehlt, RUSTIKALE SINNCOLLAGE, diese trickreiche Vernetzung der Augenblicke zu Goldkettchen und Enthaarungsgel, Krawattenknoten und Fernsehshow, ja, die Uhrwerke des Körpers ticken aufwärts, ja DING DONG, da hatte man längst kapiert, dass die Ehe aus der Verbindung von Rasierwasser und Feuchtigkeitscreme resultiert, LOVE CLASSIC, & überall klingeln die Frühstückseier unter den Löffeln des Alltags in alle vier Himmelsrichtungen, in denen die multimediale Zuversicht haust, ja, & das Häuschen mit Garten und die Kinder geordnet und das Auto mit dem schlagfesten Lack, die Sauberkeit in den Wohnzimmern kombiniert das soziale Entertainment mit regelmäßigen Ejakulationen, die wie Durchhalteparolen wirken oder wie Maßnahmen gegen Wehrkraftzersetzung. KEINE KAROS und klinische Tests haben die Effizienz bewiesen, den reinlichsten Humanismus proklamiert, in den kein Hundekadaver passt, doch etwas

LUXUS, und die IKEA-Welt macht aus Zinsen anschmiegsame Kätzchen, dass noch was für NECKERMANN abtaucht ins Knie der Welt, oder der OTTO-VERSAND mit Modezyklen tief fliegt, und das Cockpit aus Freizeit und Mode schmiert am Arsch des Frohsinns entlang in die Grazie des Gleichschritts, die das Jagdgewehr eines Jura-Professors imitiert, und was bleibt nach dem Knall, geht an die Kleidersammlung, mit der das Rote Kreuz hin- und herpendelt zwischen den Kaugeräuschen des Wohlstands, dessen Lebensversicherung jede Hellhörigkeit auf Gleichgewicht zurückdatiert in den Seitenfächern von Disneyland, wo Micky Maus als rheumatische Salzstange auf philosophische Fragen antwortet mit „HE BEDIENUNG“ und den gescheiterten Revolutionsbewegungen, die ihre Kinder hinter einem Vorhang aus Jugenderinnerungen und Bionahrung verstecken, zuwinkt mit jenem Lächeln, das man alten Ratten hinwirft. Ja, TRÄUME. Die Brieföffner des Kopfes surren leise ins Nichts, und was geblieben ist von den Fäusten, wird zu Samt und Sahne verrührt, ganz wie’s die Kaffeewerbung vorsieht, ja, Tür auf, die Außenborder der Phrasen angeworfen, KLICK KLACK, keine Stirnfalten zeigen. Und die Familien wechseln als eineiige Zwillinge über ins Freizeitparadies, das sich entrollt wie getöntes Toilettenpapier, das einen Sonnenaufgang domestiziert, ja, und die Träume hüpfen weiter ins Fitnesstraining und zurück in die Käfige der Ökonomie, die sich in den Städten auftun und jede Frage mit einem Gutschein für den Erwerb einer Kaffeemaschine in die Hitparade entsenden, bis man vergisst, wie kurz das Leben ist hinter den Salzstangen und hinter den Kaffeemaschinen, deren Eleganz korrespondiert mit jenen Kühlschränken, in die man in Krankenhäusern die Toten einklebt, doch die Aussicht legt niemanden auf einen Standpunkt fest, wenn die Fitness anschwillt und der

KAPITALISMUS ausschwärmt mit Röntgenbildern, Blutkonserven, Herzklappen, die er aus Schweißgeräten und Schreibtischen kondensiert & als Zukunft ausspuckt in die Startlöcher der Kindheit, bis darin Körper entstehen oder Zigarettenstummel, Leistungsträger oder Lottospieler, ja, DUALE SYSTEME. Die asphaltbezogene Plazenta der Städte blitzt auf, weil die Ballistik des Fortschritts brilliert mit Geburtsraten und Werbeplakaten und die Konzerne ihre Aktienkurse als statistische Leuchtraketen zünden, während die Einsamkeit zunimmt bis zum Gehtnichtmehr, Telefonseelsorge und Telefonsex im Doppelpack zur Zwischenrunde einlenken und die Alten in den Heimen verrotten, aber alle Nasen vereint rattern dem nächsten Frühstücksei entgegen, ABER DAS IST DOCH PRIMA – KEINE EXPERIMENTE, und die Durchhalteparolen paaren sich mit einer Geschwindigkeit, die keine Begründung mehr braucht, zu Straßenkreuzungen, Computernetzen, Denkschichten, und in einem einzigen Moment vermag man die Städte zu begreifen, wenn diese sich die neuesten Familien an den Tankstellen vorführen lassen als vorrückende Autos im Schachspiel der Konzerne, DOCH WEITER SO – KEINEN LEISTUNGSABFALL RISKIEREN, denn jetzt beginnt man, die Vorgesetzten mit Vornamen anzureden und alle Stempeluhren zu Straßen zu verarbeiten, ja, Micky Maus klatscht Beifall, und die Straßen multiplizieren sich zu Nervensträngen und Zeiträumen, und die Freiheit wird ein Fahrstuhl im Hirn, der die Parolen auf- und abfährt zwischen Bahnhof und Rathausplatz, und allerorts wachsen Zentren und Peripherien, vollkommene Schaltkreise zwischen Kontoauszug und Telefonzelle, Blutdruck und Innenstadt. Die Stockwerke sind weit in den Himmel gedippt, während sich die Städte zu Kernsätzen vereinigen und die NEUE LEICHTIGKEIT die Nachmittage wie Videobänder abzuspulen beginnt und die nächste Diätwelle ansagt, und die Wirklichkeit wird Kunst, und die Videoschnitte werden Wahrheit, und plötzlich sind da überall Antworten, und die Städte werden Psychopharmaka, codiert auf rasche Wirksamkeit und Gehorsam mit einigen Bildwechseln, z.B. Diskotheken, Restaurants, Psychiatrien, jedes Mal diese hochgesteckten Eingänge, Schnittstellen, und alles geht vorwärts, immer schneller, und die heimischen Wohnzimmer sind Parkuhren, in die man die Reste einwirft, und die Gassen werden Vorfilme, in denen die Taxis und Stra-ßenbahnen den Lottostellen nachfahren. Die Städte werden größer, und man lernt, die Schnittstellen mit wachsender Bildgeschwindigkeit zu nehmen, im Schnelllauf Reißverschlüsse zu öffnen, Berührungen oder Baustellen zu passieren, und diesseits und jenseits der Mittelstreifen schnellen wie Hornissen die Betriebe auf, und am Ende stehen wie Nester die Schaufenster, in denen als Weißmacher die neue Mode am Arsch des Frohsinns entlangschmiert, dass es aussieht wie Licht, das sich auszieht am Straßenrand.

Ralf Burnicki