Land unter, von: Dominik Bartels

Ich will Euch von einem Land erzählen, in dem es mehr Auswanderershows als Heimatfilme gibt. In dem die Freiheit des Einzelnen grundsätzlich dort endet, wo der psychopathische Nachbar seinen Zaun gezogen hat. Ein Land, in dem Du jede Woche einen neuen Fußball für Deinen Sohn kaufen musst, weil eben jener Nachbar die Pillen einbehält, wenn sie auf sein Grundstück geflogen sind. Ich spreche von einem Staat, in dem Du Dir die Benutzung des Einkaufswagens mit einem Euro erkaufen musst, weil diese fahrenden Käfige sonst von arbeitslosen Heckenpennern als mobile Eigenheime missbraucht werden. Ich rede hier von jenem Land, in dem sich die überwiegende Zahl der Bevölkerung ihre Meinung dadurch BILDet, dass sie eine Tageszeitung kauft, die wenig Text, dafür viele bunte Fotos abdruckt. Ich berichte hier von einer Republik, in der man gesagt bekommt, dass man mit 40 bereits zu alt für diesen Job ist. Für welchen Job? Für jeden Job. Der Staat, um den es hier geht, wähnt sich als besonders progressiv, weil er seit neuestem von einer Frau regiert wird. In ihrer Regierungsmannschaft sitzen Minister und andere dubiose Gestalten, die einfach zu wenig Zeit für die Vertretung des Volkes haben, weil sie jede Menge Aufsichtsratsposten, Gesellschafterversammlungssitze und Vorstandsbeteiligungen wahr nehmen müssen, damit ihre Kinder auch weiterhin die Schweizer Privatschule besuchen können. Schließlich sollen die armen Kleinen nicht unter dem Bildungsdesaster der staatlichen Schulen leiden müssen. Es ist jenes wundervolle Land, in dem Rentner mit rosa Badekappen verbissen die Bahnen 1 bis 6 des Hallenbades belegen, ganz einfach weil es ihr Wochentag, ihr Schwimmnachmittag und überhaupt ihr von Gott gegebenes Recht ist, dort allein und von Gelegenheitsschwimmern unbehelligt ihre 800 Meter zu absolvieren. Ich rede hier von der Republik, in der es bei Schlecker Adventskalender für Hauskatzen und in den Großstädten Suppenküchen für sozial schwache Kinder gibt. Dieser seltsame Staat erhebt eine Rundfunkgebühr, die bereits dann fällig wird, wenn man nur im Besitz eines empfangstauglichen Gerätes ist. Niemanden interessiert, ob diese Apparate tatsächlich benutzt werden. Seltsamerweise zahlt derselbe Staat ein Kindergeld nur an Bürger aus, die tatsächlich Kinder haben, obwohl alle geschlechtsreifen Einwohner im Besitz von Geräten sind, die es ihnen rein theoretisch ermöglichen würden, Kinder in die Welt zu setzen. Während die Politiker dieses Landes gerade über ein generelles Rauchverbot in Kneipen und Gaststätten diskutieren, können Interessierte auf den Schulhöfen der Pisa-gebeutelten Bildungseinrichtungen jederzeit Koks, Crack oder Heroin kaufen. Andere Jugendliche holen sich einfach zu Hause ihren Kick. Sie beamen sich mit Hilfe ihres Computers in eine virtuelle Welt und knallen mit einer Pump-Gun unliebsamen Lehrern, nervenden Mitschülern und bellenden Hausmeisterhunden die Köpfe weg. Und wenn diese verwirrten, von der ganzen Welt gehänselten Einzelgänger eines Tages durchdrehen, dann stellt ein jeder Bürger die Schuldfrage. Denn in dieser Republik wird immer ein Schuldiger gebraucht, den muss es einfach geben, da verstehen sie keinen Spaß, das ist sozusagen eine Grundvoraussetzung, um das Problem überhaupt lösen zu können. Ich bin ja der Meinung, dass die Werbung in diesem Land an allem Schuld ist! Wieso? Na, ich bitte Sie, wenn man schon eine Diätmargarine nur dann verkaufen kann, wenn sich in der Reklame ein 90-60-90 Model nackt auf einer mit Tau benetzten Sommerwiese räkelt, dann muss man sich doch nicht wundern. Selbst Bestecksets verkaufen sich besser, wenn man den Leuten erzählt, dass der Kannibale von Tübingen mit diesem Messer und jener Gabel Körperteile seines Opfers verspeist hat. Aber Schluss damit. Wichtiger ist noch der Hinweis, dass sich dieser aufgeklärte, demokratische, so gern von Freiheit und Toleranz sprechende Staat sogar eine Armee leistet. Ein paar seiner Soldaten hat er nach Afghanistan geschickt, damit sie dort, aufgeklärt und demokratisch wie sie sind, die Gebeine von Kriegstoten ausbuddeln, um damit eine kleine Fotosession zu machen. Einzelfall, Einzelfall… kreischen SIE, die vor Jahren schon die „Einzelfälle“ im Kosovo kommentiert haben. Aber warum sich Sorgen über das Bild in der Fremde machen? Noch immer kommen sie zu Tausenden aus allen Ecken der Welt. Von Verzweiflung, Armut und Perspektivlosigkeit getrieben, tragen sie all ihre Hoffnung in das gelobte Land. Doch die Fußballweltmeisterschaft ist vorbei, das Sommermärchen zu Ende erzählt, die Party ist aus und die Welt, die bei Freunden zu Gast war, darf jetzt wieder nach Hause gehen. Und deshalb rufe ich allen Neuankömmlingen und auch den hier noch immer verweilenden Bausparern ein herzliches Willkommen zu. Willkommen liebe Freunde, Willkommen in DEUTSCHLAND.

Dominik Bartels