Wolfsjagd, von: Ingeborg Denner

Ich laufe, laufe. Die Gerüche beißen in meiner Nase durch den naßen, stillen, erdigen Geruch des Waldes, die Gerüche der Affen und ihrer stinkenden Maschinen. Einer von ihnen hat ein Gewehr, ein langes, böses Jagdgewehr, als er schoß, hörte ich die Kugel in einen Baum schlagen. Viele von uns haben sie erwischt, aber mich kriegen sie nicht.
Ich laufe, laufe. Weicher Waldboden, federnde Fichtennadeln vieler Jahre. Der Tritt der Affen ist schwer, und der Boden zittert, wenn sie auftreten, man spürt es weit.
Ich laufe, laufe. Sie folgen mir, erst in ihrer stinkend-röhrenden Maschine, dann zu Fuß, und der Boden zittert. Sie folgen mir in mein Revier. Sie sind töricht, die Affen.
Ich laufe, laufe, und ich höre sie hinter mir, trampelnd, rufend, mit beißendem Geruch, weit fort schon von dem schwarzen Landfresserwurm, auf dem die Maschine rennt, die sie frißt und wieder ausspuckt, wie sie es wollen.
Ich laufe, laufe. Sie sind in meinem Revier jetzt, hier gelten meine Regeln, nicht ihre, meine Regeln, älter als die Bäume, älter als die Steine. Viel älter als die Affen. Aber es ist noch zu früh.
Ich laufe, laufe, und die Affen folgen mir, den Spuren, die ich nun absichtlich hinterlasse, als sei ich selbst einer von ihnen, unwissend in den Wegen der Wildnis.
Ich laufe, und ich erreiche den stillen Talkessel. Hier ist die Höhle, hier sah ich das erste Mal das Licht des Mondes auf dem Schnee, hier sang ich mit meiner Sippe das erste Lied, vor langer Zeit, als die Affen nur groteske Schatten waren, von denen die Großmutter mir sang, noch keinen Geruch für mich hatten.
Sie folgen mir. Ich verberge meine Spuren jetzt, schleiche zurück, unsichtbar im freundlichen Gebüsch, bis zum Eingang des Talkessels. Ich sehe den Mond dort, und ich singe das Lied für die Toten. Es hallt von den Wänden wider, als sängen die Geister mit mir, aber es ist nur meine eigene Stimme in meiner Einsamkeit.
Die Affen fahren herum, und ich rieche ihre Furcht, so süß, so süß, der eine hebt das Gewehr, aber es ist zu spät, der Mond ist in meinem Blut, und ich habe mich verwandelt.
Die Kugel schlägt in mein Fleisch wie in einen Baum, das kurze, scharfe Brennen eines Moskitostiches, das nur meinen Zorn nährt. Ich knurre, als ich mich auf die Affen stürze. Ohne ihre Maschinen, ihre metallenen Zähne, sind sie schwach wie Hasen, und wie Hasen töte ich sie.
Und dann singe ich das Lied des Sieges, das Lied der Trauer und das Lied, das die Geister der Toten zur Ruhe bringt, die Geister meiner Sippe, die keine Fellwechsler waren und von den Affen mit ihren Gewehren getötet wurden an diesem Ort, unter dem vollen Mond.
Ich beende das Lied und verwandle mich erneut und laufe, laufe, laufe zurück in den Ort, wo die Affen und Maschinen und Gewehre herkommen, um dort selbst das Fell eines Affen anzulegen und stolze Jäger zu finden, die töricht genug sind, im Licht des Vollmonds einem einzelnen Wolf in den Schatten und die Stille der Bäume zu folgen, wo man ihre Schreie nicht hört.

Ingeborg Denner