In dieser Nacht rumpelte es wieder im Kühlschrank. Ich stand auf, überprüfte die Schlösser: Sie hielten noch, nur die Wände schienen sich etwas weiter ausgebeult zu haben. Besorgt legte ich mich wieder hin.
Der Kühlschrank mußte unbedingt entsorgt werden. Aber wohin? Gorleben fiel mir ein. Vielleicht würde das Salz dem Kühlschrankinhalt das Wasser entziehen und ihn umbringen. Oder man könnte den ganzen Kühlschrank in Glas eingießen. Nur, wer sollte das bezahlen? Eigentlich ist doch der Staat dafür zuständig, die öffentliche Sicherheit zu finanzieren… Aber wer würde mir glauben?
Es hatte angefangen, als ich aus dem Urlaub diesen Sommer zurückkam. Die Stadtwerke hatten mir den Strom abgedreht, weil ich im Urlaub natürlich nichts bezahlt hatte. Der Kühlschrank, ein Erbstück aus den fünfziger Jahren, auf den ich sehr stolz gewesen war, ehe er zu meiner Nemesis wurde, stand in einer übelriechenden Pfütze.
Ich öffnete die Fenster, damit die Pfütze besser wegtrocknete, und vergaß die Sache. Als sie mir nach einiger Zeit wieder einfiel, verdrängte ich sie. Ich konnte mich einfach nicht überwinden, mich dem Grauen im Inneren des Kühlschranks zu stellen. Man wird das verstehen. Immerhin bezahlte ich die Stromrechnung wieder.
Vielleicht würde Fritz zu Besuch kommen und, wie er das immer tat, über meine verlotterte Hauswirtschaft die Hände überm Kopf zusammenschlagen und beim Weggehen den Müll mit runternehmen. Fritz, wie man sieht, graut es vor nichts.
Eine Woche später kam eine Postkarte von Fritz: Seine Firma hatte ihn in die äußere Mongolei versetzt.
Da saß ich nun mit meinem Kühlschrank.
Manchen Abend starrte ich ihn an und fragte mich, was ich vor meinem Urlaub darin vergessen hatte. Ich rief all meine Freundinnen an, die meist besser wissen als ich, was in meiner Bude wo zu finden ist, und kam auf folgende Liste: Ein paar Möhren. Eine angebrochene Dose Ölsardinen. Ein alter Socken. Ein Rest Nudelauflauf. Ein Feuerzeug. Zwei Paprika. Ein Joghurt. Mein Bibliotheksausweis. Ein halber Schokoladenweihnachtsmann und ein Rest von einem Glas Essiggurken.
Ich seufzte und beantragte einen neuen Bibliotheksausweis.
Damals fürchtete ich mich am meisten vor den Ölsardinen und dem Nudelauflauf. Den Essiggurken traute ich nicht genug Initiative und Reaktionsfreudigkeit zu, um eine Bedrohung darzustellen. Wie schrecklich habe ich mich geirrt!
Im Herbst kam Ellen zu Besuch und öffnete, auf der Suche nach Bier, den Kühlschrank, ehe ich sie warnen konnte. Als ich sie wiederbelebt hatte, stammelte sie etwas von Ölsardinen, die um die Überreste eines Schokoladenweihnachtsmanns kämpften. Das bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Ich trauerte etwas um den Weihnachtsmann, der ein guter alter Kerl gewesen war, und klebte ein Schild auf die Kühlschranktür: Außer Betrieb.
Wochen vergingen. Ich spielte mit dem Gedanken, die Feuerwehr oder den Katastrophenschutz zu benachrichtigen, kam mir dann aber doch lächerlich vor.
Eines Nachts hörte ich, wie der Kühlschrank sich öffnete. Entsetzt fuhr ich auf, griff mir die Rückenlehne des kaputten Stuhls aus der Ecke und pirschte mich an den Kühlschrank heran. In dem schmalen Lichtstreifen, der aus der offenen Kühlschranktür fiel, sah ich zwei angeschlagene Ölsardinen fluchtartig ihre Heimat verlassen. Ich erschlug sie mit der Stuhllehne und betrachtete gerade angewidert ihre Überreste, als sich plötzlich ein Schatten vor den Lichtstrahl aus dem Kühlschrank schob. Ich schlug die Kühlschranktür zu – in letzter Sekunde, wie mir ein dumpfer Schlag und ein Klappern im Inneren des Geräts verrieten.
In dieser Nacht fand ich keine Ruhe mehr. Was war es, daß den Ölsardinen so übel mitgespielt hatte? Was hatte in dieser Nacht versucht, aus dem Gefängnis des Kühlschranks zu entkommen? Der Joghurt? Der Nudelauflauf? Ich holte eine Rolle Klebeband aus dem Wäschekorb und verklebte die Kühlschranktür, fest entschlossen, es niemals herauszufinden.
Aber die menschliche Neugier ist stärker als die menschliche Vernunft. Was ging in meinem Kühlschrank vor sich?
Kurz vor Silvester konnte ich der Versuchung nicht länger widerstehen. Lautlos durchtrennte ich das Klebeband und riß die Tür auf.
Das plötzliche Licht schockierte die Essiggurken, die um den umgedrehten, leeren Joghurtbecher herum auf dem Gemüsefach saßen. Die Wände waren grausig mit den Gräten besiegter Ölsardinen dekoriert. Eine besonders große Gurke, die grade Diagramme in den Rauhreif an den Wänden kratzte, drehte sich zu mir um. Im Gemüsefach selbst gingen zahllose Essiggurken ihren täglichen Geschäften nach, lebten, wuchsen und vermehrten sich zweifelsohne.
Ich warf die Kühlschranktür zu und sicherte sie nicht nur mit Klebeband, sondern auch mit allen Fahrrad- und Motorradschlössern, die ich finden konnte.
In der folgenden Nacht rumpelte es wieder im Kühlschrank. Ich schlich mich heran und hörte die essigsaure Stimme der Großen Gurke. Ich verstand sie nicht, doch es klang, als würde sie eine Rede halten. Manchmal antwortete ein Chor geringerer Stimmen. Sie schienen ein Marschlied zu singen.
Ich konnte nicht mehr schlafen. Morgen werde ich irgendjemanden anrufen. Nur – wer ist für meinen Fall zuständig?
Ingeborg Denner